Meine Arbeit als Lehrer und Fachleiter Musik
am Colegio Andino (Deutsche Schule Bogota)
Bogota, März 2002
Seit fast vier Jahren bin ich nun Lehrer und Fachleiter für Musik am Colegio Andino. Das Fach Musik steht hier in Bogotá für mich in einem Spannungsfeld, das einerseits bestimmt ist durch die große Bedeutung, die es für die Kulturbegegnung und Völkerverständigung und die Repräsentation einer Auslandschule erhält, andererseits durch mangelnde Wertschätzung in der Öffentlichkeit als ernst zu nehmendes Fach. So bestimmen die musikalischen Veranstaltungen entscheidend das Schulleben und die Selbstdarstellung der Schule, aber in den Abschlußprüfungen der Schüler (ICFES, Abitur) können die Leistungen der Schüler in Musik bedauerlicherweise nicht angerechnet werden.
Die räumliche Ausstattung der Schule ist hervorragend. Mehrere Auditorien, 4 Fachräume, 3 Klaviere und eine gute technische Ausstattung und technisches Personal stehen für Musik zur Verfügung. Die fachliche Ausstattung ist gut, aber sicher noch ausbaufähig. Erfreulicherweise konnte ich gleich zu Beginn meiner Tätigkeit Instrumente bestellen, die zur Einrichtung des vierten Fachraumes notwendig waren. Bedingt durch Stundenkopplungen finden zeitweise vier Musikklassen mit z.T. über dreißig (!) teilnehmenden Schülern gleichzeitig statt, was musikpraktische Arbeit sehr erschwert. Seit Beginn dieses Jahres (2002) arbeiten wir auch in den Informatikräumen mit Musik-Software.
Die das Schulleben entscheidend bestimmenden musikalischen Aktivitäten finden als freiwillige Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag und am Wochenende statt. Es sind überraschend viele Schüler bereit, ihre Freizeit dafür opfern, obwohl in Kolumbien musikalische (z.B. im Vergleich zu sportlicher) Betätigung einen geringen Stellenwert hat. Ebenfalls hinderlich sind die großen Entfernungen, chaotische Verkehrsverhältnisse und Sicherheitsprobleme, zuweilen auch gewisse Mentalitätsunterschiede, die einen kühlen Norddeutschen doch manchmal an die Grenze der Verzweiflung bringen können. Aber irgendwie klappt dann im allerletzten Moment doch alles, die Schüler wachsen gar in ungeahnter Weise über sich hinaus. Das Erlebnis der Aufführung und die Begeisterung der Beteiligten macht diese anstrengende Arbeit jedoch mehr als wett.
Ich unterrichte z. Zt. deutsche und kolumbianische Klassen der Jahrgangsstufen 6 bis 12 in Musik, Musik/DFU-Unterricht und Erdkunde. Für Chor und Orchester stehen mir 4 Stunden zur Verfügung, die natürlich nur einen kleinen Teil der notwendigen Probenzeit abdecken. Das Orchester hat inzwischen Zuwachs bekommen durch unser Projekt Instrumentalunterricht, das unten näher beschrieben wird. Außer meinen Gruppen existieren zwei Chöre und zwei Instrumentalgruppen in der Primaria, die Folkloregruppe 'Inti Andino' und eine 'Tropical-Band', die von meinen kolumbianischen Musikkolleg(inn)en geleitet werden.
Zu meinen Aufgaben an einer Auslandsschule gehören die Terminabsprache, Planung, Vorbereitung, Probenarbeit und Durchführung von repräsentativen Schulkonzerten, die eine Kooperation mit der Schulleitung und mit kolumbianischen und deutschen Kollegen, Schülern, technischem und Verwaltungspersonal erfordert. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß ich immer in meiner Arbeit durch die Schulleitung und durch das große Engagement der Kollegen unterstützt werde.
Außerhalb der Schule leitete ich bis zum April 2000 ehrenamtlich den Chor der evangelischen Gemeinde 'San Mateo' (ca. 40 Mitglieder), mit dem ich unter Mitwirkung des Schulorchesters unter anderem die 'Misa Criolla' (eine argentinische Folkloremesse) von Ariel Ramirez sowie einen Satz aus dem 'Canto General' von Mikis Theodorakis (nach Worten von Pablo Neruda) zur Aufführung bringen konnte.
Im Verlauf der letzen Schuljahre wurden u.a. folgende musikalischen Veranstaltungen durchgeführt:
Jährlich wiederkehrende Veranstaltungen:

Izadas de bandera, Sportwettkämpfe (Vorstellung der Nationalhymnen)
multimediale Veranstaltung zum Deutschen Nationalfeiertag (Oktober)
zwei Weihnachtskonzerte (Dezember)
Schülerkonzert (meist im Februar)
Lehrerkonzert (meist im März)
Jahresabschlusskonzert (Juni)
Abschlussfeier des ICAFT (Ende Juni)
Sesion solemne (Ende Juni)

Besondere einmalige Veranstaltungen:

Weihnachtskonzert des Chores von San Mateo unter Beteiligung des Schulorchesters am 6.12.1998

Musical 'Horror in Bogota'
mit zwei Aufführungen am 18. und 19.6.1999
Präsentationen der Klassen 6c und 6d für die Primaria am 18.2.2000 und am 23.3.2000 (Bundesjugendspiele)

Jazzworkshop und Konzert
einer Gruppe aus der HDK Berlin/Deutschland
Chorkonzert mit 'Agua Viva'
aus Deutschland und den Chören des Colegio Andino am 24.4.2000
Einweihung der neuen Kapelle auf dem Schulgelände 19.5.2000
Aufführung des
Hymnen-Mix des Berliner Jazz-Komponisten Bardo Henning am 3.10.2000
Das
Musical Tanz der Vampire in Zusammenarbeit und Austausch mit der deutschen Schule Cali, im Juni 2001
Das
Theaterstück "Renacer", eine Gemeinschaftsproduktion mit Recicladores ("Lumpensammlern") und Schülern der Deutschen Schule Bogotá im Dezember 2001

Geplant im Mai 2002 ist die Aufführung der Missa Rotna aus Dänemark,  in Zusammenarbeit mit dem Chor der Gemeinde San Mateo in Bogotá, sowie ein gemeinsames Konzert mit der "Fundación Batuta' , die Orchesterarbeit mit sozial benachteiligten Jugendlichen organisiert.
Wie man sehen kann, läuft die Arbeit des Musiklehrers an einer Auslandsschule besonders am Schluss des Schuljahres auf Hochtouren, wenn die Kollegen bereits in Ferienstimmung sind. Musikalisches Leben bietet hier eine wirkliche Begegnung der Kulturen, die immer wieder zu spannenden und im Gedächtnis bleibenden Erlebnissen führt.
Zu einem Höhepunkt des Schuljahres 1998/99 führte die Arbeit mit dem Chor und dem Orchester des Bachillerats an dem Musical 'Horror in Bogota', in deutscher Sprache. Der Ort der Handlung ist in Bogotá; der Text wurde von mir also eigens für das Colegio Andino 'regionalisiert', was der Aufführung einen besonderen Reiz verlieh. (Die Erstellung des Notenmaterials für die unkonventionellen Besetzungen der schulischen Musikgruppen ist übrigens eine zeitraubende, oft unterschätzte Aufgabe, da man dieses Notenmaterial nicht 'von der Stange' kaufen kann.) Das Orchester präsentierte in Zusammenarbeit mit dem Chor von San Mateo ein Stück aus dem 'Canto General' von Mikis Theodorakis nach Texten von Pablo Neruda.
Im Schuljahr 1999/2000 führte das
Chorprojekt in Zusammenarbeit mit der Mannheimer Gruppe 'Agua Viva' unter der Leitung von Frau Patricia Schubert, die drei Tage bei uns zu Besuch waren, zu einem abwechslungreichen Konzert mit Darbietung von Tänzen, Chor- und Instrumentalmusik aus Renaissance, Barock und Klassik, der Jazz-Kantate 'Jonah Jazz Man' und der 'Misa Luba' aus dem afrikanischen Kongo.
Ein neues, von mir initiiertes Projekt an der Schule ist die Förderung des Instrumentalspiels durch Kauf von (Blas-)Instrumenten, die für ein halbes Jahr an Schüler ausgeliehen werden, denen dann Instrumentalunterricht durch qualifizierte Privatmusiklehrer in der Schule erteilt wird.
Der traditionell außerhalb der Schule stattfindende Instrumentalunterricht ist mit teilweise erheblichen finanziellen Belastungen verbunden (Privatmusiklehrer, Instrument) und daher nicht allen Kindern gleichermaßen zugänglich. Der Anspruch einer Schule, soziale Benachteiligungen im Bereich der Bildungschancen nach Möglichkeit auszugleichen, beinhaltet in diesem Zusammenhang auch, daß die allgemeinbildende Schule den Schülern zumindest für die problematische Anfangszeit Instrument und Unterricht anbietet (problematisch ist der Beginn des Instrumentalunterrichts deshalb, weil eine endgültige Entscheidung des Schülers für ein Instrument erste Erfahrungen mit ihm voraussetzt und daher das Risiko besteht, daß größere Investitionen sich als verfehlt herausstellen). Für das Colegio Andino bedeutet eine Aufbauarbeit auf breiter Grundlage die Möglichkeit, ein vielköpfiges und für diese Schule angemessenes und repräsentatives Ensemble (kein 'Lehrerorchester') zu schaffen, das auch über die Grenzen der Schule hinaus seine Wirkung zeigen kann. Diese Aufgabe ist langfristig zu verfolgen und systematisch zu organisieren. Eine schulische Förderung des Instrumentalspiels ist zudem durch das kolumbianische Erziehungsministerium vorgesehen. Im allgemeinen Musikunterricht können instrumentale Fähigkeiten nur in ganz kleinen Ansätzen verwirklicht werden. Das hängt neben der Gruppengröße auch damit zusammen, daß die Beziehung zu einem Instrument sehr emotional geprägt ist und daher nur bedingt auf ein für alle verbindliches 'Einheitsinstrument' übertragen werden kann. Die Schule muß also auch außerhalb des allgemeinen Musikunterrichtseine Palette von Möglichkeiten des Instrumentalunterrichts anbieten, aus denen der Schüler seinen Neigungen entsprechend - auch zur Probe ! auswählen kann. Im allgemeinen Musikunterricht haben die Schüler zum Teil die Möglichkeit, in Ansätzen Blockflöte, Baß, Gitarre und Schlagzeug zu lernen. Doch die neben Gitarre und Schlagzeug attraktivsten Instrumente Querflöte, Trompete, Posaune und Saxophon (durch die für viele Schüler die Blockflöte erst Bedeutung gewinnt - als Vorübung nämlich) wurden bisher nicht angeboten. Seit einem Jahr wurde das Angebot auch auf Streichinstrumente zum Aufbau eines Orchesters ausgeweitet. Die Früchte dieser Arbeit wird vollends erst mein Nachfolger ernten können (sofern meine Stelle nicht dem Rotstift zum Opfer fällt), aber schon jetzt lassen sich die Auswirkungen im täglichen Schulleben nicht "überhören".
Die Arbeit als Fachleiter beinhaltet außerdem Fachsitzungen, Koordination im Fachbereich Musik, Sammlungsleitung, Curriculumrevision und Fortbildung. Leider gibt es an der Schule das 'Pädagogische Zentrum' nicht mehr, in welchem Kontakte zu Musikkollegen aus ganz Südamerika gepflegt wurden.
Seit ich zum ersten Mal zwischen den holsteinischen Kühen der Sabana gelandet bin und kolumbianischen Boden betreten habe, überraschten mich immer wieder die Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und das überdurchschnittliche Engagement der Kollegen, mit denen ich zu tun hatte. Meine Frau und ich fühlen uns sehr wohl in diesem Land, in dem jeder Tag immer wieder neue interessante Erfahrungen bringt. Probleme bereitet uns die sich verschärfende unzureichende Sicherheitslage; die Bewegungsfreiheit in diesem wunderschönen Land ist leider zunehmend eingeschränkt.
Für die Zukunft sehe ich Aufgaben, Ideen und Veränderungen in folgenden Bereichen:
Reduzierung der großen Klassenfrequenzen
Förderung des Instrumentalspiels, Aufbau einer Big Band
organisatorische (stundenplantechnische) und bewußtseinsmäßige Integration der Chor- und Orchesterarbeit in den Schulalltag
soweit möglich, Durchführung von Intensivprobentagen außerhalb der Schule (Problem: Sicherheit!)
Kontakt zu anderen Schulen und kulturellen Einrichtungen der Stadt und nach Deutschland
Integration von musikalisch-kulturellen Sozialprojekten mit Aktivitäten der Deutschen Schule.
Obwohl meine laufende Tätigkeit und die beschriebenen Ziele sehr arbeitsintensiv sind, freue ich mich auf eine hoffentlich noch lange Zeit am Colegio Andino.
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